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Interview mit Remo: «Start-up-Spirit prägt uns bis heute»

02June2025

Vor neun Jahren als erstes und einziges Spin-off der NZZ gegründet, beschäftigt Audienzz heute über hundert Mitarbeitende und ist im gesamten DACH-Raum aktiv. CEO Remo Baumeler erklärt, wie aus einem umstrittenen Start-up ein «kompetent statt konvergent» arbeitender Digitalvermarkter wurde.

Herr Baumeler, was gab vor bald zehn Jahren den Ausschlag, Audienzz zu gründen?
Damals haben wir festgestellt, dass die Komplexität im digitalen Marketing rasant zunimmt. Innerhalb der NZZ hatten wir bereits früh Kompetenzen in der digitalen Vermarktung aufgebaut. Daraus entstand die Idee, diese Kompetenzen in ein eigenständiges Spin-off zu überführen – und so auch anderen Publishern zugänglich zu machen. Ziel war es, Medienhäuser bei der digitalen Transformation auf Augenhöhe zu unterstützen. So haben wir am 1. April 2016 die Audienzz AG gegründet.

Was wohl nicht ganz selbstverständlich ist, gilt die NZZ doch eigentlich als konservatives Unternehmen. Gab es bei der Firmengründung grosse Widerstände?
Ein solcher Schritt war natürlich mit Reibung verbunden – das gehört dazu, wenn man Dinge neu denkt. Die NZZ galt damals als eher traditionsbewusst, zeigte aber die Offenheit, diesen neuen Weg mit uns zu gehen. Die Gründung von Audienzz war tatsächlich das erste und bis heute einzige Spin-off des Hauses. Wir haben damals ganz bewusst das digitale Werbegeschäft ausgegliedert, mit der Überzeugung: kompetent statt konvergent. Entscheidend war dabei die Unterstützung des damaligen NZZ-CEOs Veit Dengler, der unsere Vision nicht nur geteilt, sondern aktiv vorangetrieben hat.

«Wir können auf einen soliden Track Record zurückblicken»


Haben sich die Widerstände innerhalb des Unternehmens gelegt?
Verständlicherweise mussten wir zu Beginn auch erst einmal beweisen, dass unser Plan nachhaltig funktioniert. Heute, knapp zehn Jahre später, ist das kaum mehr ein Thema – wir können auf einen soliden Track Record zurückblicken. Ein entscheidender Faktor war und ist dabei unsere Unternehmenskultur. Der Start-up-Spirit war für uns von Anfang an sehr wichtig – und er prägt uns bis heute. Vielleicht waren wir an der einen oder anderen Stelle auch etwas lauter, als man es im Umfeld der NZZ – oder ganz allgemein – gewohnt ist. Das bestätigte uns auch die eine oder andere Lärmklage (lacht). Aber wer hart arbeitet, soll auch mal ordentlich feiern. Gerade dieser Spirit, Dinge anders anzugehen, hat Audienzz geprägt und dazu beigetragen, dass wir heute als eigenständiger, aber fest integrierter Teil der Gruppe unterwegs sind.

Die NZZ gilt mittlerweile aber als attraktiver als auch schon.
Absolut, und auch zu Recht. Die NZZ hat sich in den vergangenen Jahren erfolgreich weiterentwickelt, mit einer klaren publizistischen Haltung, hoher technologischer Kompetenz und konsequenter Digitalstrategie. Natürlich bleiben die Kulturen von NZZ und Audienzz unterschiedlich, und das ist auch gut so. Wir sehen das als Bereicherung. Vielleicht haben wir mit unserer Art auch ein Stück weit sichtbar gemacht, dass unterschiedliche Ansätze und Denkweisen sich durchaus ergänzen können. Was uns sehr hilft: Wir verfügen innerhalb der Gruppe über viel Autonomie, zum Beispiel durch eigene technische Infrastrukturen. Gleichzeitig geniessen wir aber auch starke Rückendeckung durch die NZZ. Diese Eigenständigkeit, kombiniert mit dem Support der Gruppe, war und ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Audienzz.

Wie hat sich der Werbemarkt in den letzten zehn Jahren verändert?
Der Markt ist, wie wir schon 2016 erwartet haben, immer technischer geworden. Deshalb haben wir von Anfang an mehr und mehr Tech-Spezialisten an Bord geholt. Auch wenn der persönliche Austausch weiterhin eine grosse Rolle spielt, ist das klassische Vermarktungsgeschäft in vielen Bereichen deutlich technischer und programmatischer geworden. Die Möglichkeiten, Formate auszuspielen und Kampagnen zu steuern, sind heute wesentlich vielfältiger als noch vor ein paar Jahren.

Was bedeutet das?
Ein Beispiel: Durch technische Lösungen wie «Header Bidding» können heute viele Anbieter das gleiche Werbeinventar vermarkten – das hat den Wettbewerb massiv verändert. Oder denken wir an die Diskussion um Apps: Eine Zeitlang hiess es, künftig werde alles nur noch in Apps stattfinden. Dann verlagerte sich der Fokus zurück ins offene Web – und inzwischen ist wieder ein Gegentrend spürbar. Diesen ständigen Marktveränderungen müssen wir uns natürlich immer wieder anpassen. Dabei hilft uns zweifellos, dass wir agil aufgestellt sind und ein grosser Teil unserer Mitarbeitenden seit den Anfängen mit viel Herzblut dabei ist.

«Die NZZ legt grossen Wert auf Qualität und Relevanz der Werbung»


Nehmen wir dennoch die NZZ als Beispiel: automatische Werbung, die bei der NZZ eingespielt wird – kontrollieren Sie diese noch?
Die NZZ legt grossen Wert auf Qualität und Relevanz der Werbung. Deshalb ist für uns klar: Auf der Premium-Plattform nzz.ch verzichten wir bewusst auf Open-Market-Angebote. Nur ausgewählte Werbekunden erhalten Zugang, und auch diese durchlaufen klare Prüfprozesse. Trotzdem lässt sich nie ganz ausschliessen, dass im programmatischen Umfeld vereinzelt Kampagnen erscheinen, die inhaltlich schwieriger einzuordnen sind – das ist ein branchenweites Thema. Wichtig ist uns, hier schnell zu reagieren und, wo nötig, zu korrigieren. Gleichzeitig gilt: Zu viel Kontrolle kann den Markt lähmen. Es geht darum, die Balance zu halten – zwischen Offenheit und Verantwortung.

Man könnte sie vollkommen ausgrenzen …
Das stimmt. Aber so einfach ist es eben nicht. Wer pauschal alles ausschliesst, riskiert, seriöse Anbieter oder spannende Kampagnen zu verlieren. Und ganz ehrlich: Schwarz-Weiss funktioniert in unserem Geschäft selten.

Jeder will – wie Sie sagen – näher beim Kunden sein. Was heisst das konkret bei der Digitalwerbung?
In den letzten Jahren sind viele neue Player auf den Markt gekommen, die einen Teil der Wertschöpfung für sich holen wollten: Netzwerke, Datenanbieter, Tracking-Tools – da gibt es unendlich viele Anbieter. Von den Werbefranken, die früher direkt beim Medienhaus landeten, bleiben heute vielleicht noch 30 bis 40 Prozent. Wir haben stark in eigene Technologie und Partnerschaften investiert, um die Nähe zum Kunden zu wahren. Dazu gehören Self-Booking-Lösungen, eigene Netzwerkformate, aber auch Tools im Data-Bereich. Die Akquise von Attackera war ein weiterer Baustein dieser Strategie: Jetzt können wir unseren Kunden die komplette Dienstleistung anbieten, wenn sie das wünschen.

Zum Schluss: Besteht nicht die Gefahr, dass Sie die NZZ immer ein bisschen bevorzugen?
(Lacht.) Das Schöne ist, dass die NZZ als redaktionelles Produkt einen klaren Fokus auf den Nutzermarkt hat. Der Werbeumsatz ist wichtig, keine Frage – aber als Audienzz agieren wir sehr frei und eigenständig. Heute ist die NZZ zwar ein wichtiger Partner, aber nur noch ein Teil unserer Umsatzbasis, und dieser wird prozentual kleiner, je mehr wir mit weiteren Partnern zusammenarbeiten und unsere Tech-Produkte ausbauen. Genau diese Unabhängigkeit hat uns von Anfang an ausgemacht und tut es noch immer.

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